Die Drei „Urzitate“ Nietzsches zur Neuen Vorsicht

Mi., 7. Juli 2021
15:49 Uhr

Das Ausgangsmaterial des letzten Denkkollektivs (#6)

Die Drei „Urzitate“ Nietzsches zur Neuen Vorsicht

„Neue Vorsicht. – Lasst uns nicht mehr so viel an Strafen, Tadeln und Bessern denken! Einen Einzelnen werden wir selten verändern; und wenn es uns gelingen sollte, so ist vielleicht unbesehens auch Etwas mitgelungen: wir sind durch ihn verändert worden! Sehen wir vielmehr zu, dass unser eigener Einfluss auf alles Kommende seinen Einfluss aufwiegt und überwiegt! Ringen wir nicht im directen Kampfe! — und das ist auch alles Tadeln, Strafen und Bessernwollen. Sondern erheben wir uns selber um so höher! Geben wir unserm Vorbilde immer leuchtendere Farben! Verdunkeln wir den Andern durch unser Licht! Nein! Wir wollen nicht um seinetwillen selber dunkler werden, gleich allen Strafenden und Unzufriedenen! Gehen wir lieber bei Seite! Sehen wir weg!“ (Nietzsche, FW 321)

„In Alledem — in der Wahl von Nahrung, von Ort und Klima, von Erholung — gebietet ein Instinkt der Selbsterhaltung, der sich als Instinkt der Selbstvertheidigung am unzweideutigsten ausspricht. Vieles nicht sehn, nicht hören, nicht an sich herankommen lassen — erste Klugheit, erster Beweis dafür, dass man kein Zufall, sondern eine Necessität ist. Das gangbare Wort für diesen Selbstvertheidigungs-Instinkt ist Geschmack. Sein Imperativ befiehlt nicht nur Nein zu sagen, wo das Ja eine „Selbstlosigkeit“ sein würde, sondern auch so wenig als möglich Nein zu sagen. Sich trennen, sich abscheiden von dem, wo immer und immer wieder das Nein nöthig werden würde. Die Vernunft darin ist, dass Defensiv-Ausgaben, selbst noch so kleine, zur Regel, zur Gewohnheit werdend, eine ausserordentliche und vollkommen überflüssige Verarmung bedingen. Unsre grossen Ausgaben sind die häufigsten kleinen. Das Abwehren, das Nicht-heran-kommen-lassen ist eine Ausgabe — man täusche sich hierüber nicht —, eine zu negativen Zwecken verschwendete Kraft. Man kann, bloss in der beständigen Noth der Abwehr, schwach genug werden, um sich nicht mehr wehren zu können. — Gesetzt, ich trete aus meinem Haus heraus und fände, statt des stillen und aristokratischen Turin, die deutsche Kleinstadt: mein Instinkt würde sich zu sperren haben, um Alles das zurückzudrängen, was aus dieser plattgedrückten und feigen Welt auf ihn eindringt. Oder ich fände die deutsche Grossstadt, dies gebaute Laster, wo nichts wächst, wo jedwedes Ding, Gutes und Schlimmes, eingeschleppt ist. Müsste ich nicht darüber zum Igel werden? — Aber Stacheln zu haben ist eine Vergeudung, ein doppelter Luxus sogar, wenn es freisteht, keine Stacheln zu haben, sondern offne Hände… [...] (Nietzsche, Ecce Homo, Warum ich so klug in, §8)

„‘Freiheit‘ brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an „grosse Ereignisse,“ sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist. Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse — das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich. Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsäule im Schlamme liegt! [...]“ (Nietzsche, Zarathustra, Vorrede)